Vom 08.07.12 bis zum 22.07.12 war ich im Rahmen eines European work camp in Bosnien.
Ich muss zugeben, dass ich vor dieser Reise nicht besonders gut über dieses Land informiert war. Was ich wusste, konnte ich an fünf Fingern abzählen: irgendwo zwischen Serbien und Kroatien gelegen, ehemals ein Teil Jugoslawiens, die Sprache ist slawischen Ursprungs, es gehört nicht zur Europäischen Union und da war mal ein Krieg.
Mein restliches Halbwissen setzte sich aus Klischees und Vorurteilen zusammen, so dass ich das Land für gefährlich und rückständig und die Bewohner für kriminell und ungebildet hielt.
Als unsere deutsche Gruppe dann in Sarajevo, der Hauptstadt Bosniens ankam, wurden wir von den bosnischen Teilnehmern so offen und freundschaftlich empfangen, dass ich gar nicht anders konnte, als meine vorgefertigten Ansichten über Board zu werfen und von vorn anzufangen. Ich habe mich richtig vor mir selbst geschämt, weil ich noch am Morgen diverse Möglichkeiten abgewogen hatte, wie ich es anstellen könnte, eine Dose Pfefferspray ins Flugzeug zu schmuggeln.

Von da an hatte ich alle drei Sekunden eine neue Frage, die mir immer verständlich beantwortet wurde. Ich wollte alles wissen und alles verstehen. Die bosnischen Teilnehmer, die ich jetzt voller Stolz Freunde nenne, haben mir vom Krieg erzählt, der von 1992 bis offiziell 1995, inoffiziell bis 1996 in Bosnien wütete. Wir haben den 800 Meter langen Tunnel besucht, der während des Krieges unter dem Flughafen in Sarajevo gegraben wurde um Versorgungsgüter in und Menschen aus der Stadt herraus zu bringen.
Wir haben Videos gesehen, in denen gezeigt wurde wie Gebäude und Menschen beschossen wurden, Fotos von brennenden oder längst in Trümmern liegenden Wohnblöcken, Krankenhäusern, Bauwerken und von verletzten oder toten Männern, Frauen und Kindern.
Das eigentliche Projekt sollte in der Heimatstadt der bosnischen Teilnehmer stattfinden, einem kleinen Ort namens Donji Vakuf. Touristisch betrachtet eher uninteressant, ist es sehr ruhig, 20% der erwerbsfähigen Bürger haben keine Arbeit, es gibt eine Hauptstraße mit Cafes und Geschäften. Aber wie in jedem bosnischen Ort sind die Spuren des Krieges noch allgegenwärtig.
Trotz aller Verluste sind die Menschen offenherzig, freundlich, fröhlich, ehrlich, teilen gern und begegnen einander lächelnd. Viele kämpfen jeden Tag um ihre Existenz und finden trotzdem die Zeit sich am Leben zu erfreuen. Auch wenn ich bis dahin schon sehr viel über den Krieg gesehen und gehört hatte, fing ich erst richtig an zu begreifen, als meine bosnischen Freunde mir vollkommen offen und unzensiert ihre persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Erinnerungen erzählten.

Ich habe unzählige Tränen geweint für diese Menschen, für ihr Land, für ihre Geschichten, für ihre Ehrlichkeit, für ihre Dankbarkeit und Hilfe und vor allem für ihre Freundschaft.
Jetzt bin ich zurück in Deutschland und fühle mich einsam wenn ich unter Menschen bin. Ich bin angewidert von unserer Regierung, die weggesehen hat, wie mitten in Europa vor nicht einmal 20 Jahren ein Genozid an der bosnischen Bevölkerung versucht wurde. Es ist nicht eingegriffen worden, weil Deutschland nicht angegriffen wurde. Andererseits scheint es völlig okay zu sein, wenn deutsche Soldaten für Öl und andere Rohstoffe in den Krieg ziehen.
Ich bin schockiert und traurig, weil in unseren Schulen nichts über Bosnien gelehrt wird und weil die Medien nicht über die Politik und das Geschehen dort berichten. Bosnien ist ein Land voller Potenzial, bevölkert von gebildeten Menschen, geführt von einer korrupten, nicht funktionierenden Regierung. Es ist kaputt, arm und vergessen, aber es ist wunderschön.Vanessa Appel, 20 Jahre alt, aus Bochum, Europa
